Rahmenbedingungen

blend – der Ausstellungstitel zweier Präsentationen mit Werken von Bert Haffke und Ralph Kull in Bremen und Göttingen bietet Anlaß zum Innehalten, klingt das englische Wort doch vertraut und gleichzeitig unvollständig. Der Begriff bezeichnet in Verbindung mit Kaffee-, Tee- oder Tabakprodukten eine Mischung – so die direkte Übersetzung – verschiedener Sorten zur Besserung des Geschmacks. Bei Farbmischungen erscheint der Begriff ebenso wie als Silbe deutscher Worte etwa bei Verblendung oder Überblendung. Grausam war die Strafe des Blendens, die dauerhafte oder zeitweise Blindheit zur Folge hatte. Trügerisch hingegen ist die Blende, bezeichnet sie taubes Gestein, das zwar glänzt, aber kein Erz enthält. Beide Künstler, die diesen Ausstel­lungstitel gewählt haben und unabhängig voneinander arbeiten, verhandeln in ihren Werken die Frage nach dem offensichtlichen wie verborgenen Bildinhalt, der die Wahrnehmung bei der Kunstrezeption beeinflusst.

Bert Haffke nutzt für seine Werke Materialien wie Acrylglas, Glas und Pappe, die er zu einfachen Grundformen wie einen Kreis, ein Rechteck oder Kreuz verarbeitet. In ihrer minimalistischen Anmutung bilden sie einen Kontrast zu den Werken von Ralph Kull, doch finden sich in den Fragestellungen durchaus Überschneidungen.
Das Werk ohne Titel, 2024, besteht aus zwei rechteckigen Formen, bei denen jeweils im Inneren eine gleichgroße rechteckige Fläche entfernt wurde, so dass sie an zwei Rahmen oder Passepartouts erinnern. Sie bestehen aus Acrylglas, das einmal direkt zu sehen ist und einmal weiß überstrichen wurde und rahmen jeweils einen in Ausstellungsräumen üblichen weißen Wandausschnitt. Das durchsichtige Acrylglas lässt die Wand dabei in Gänze sichtbar, während das weiß gestrichene Acrylglas die Wand zwar verdeckt, sich aber farblich kaum von ihr unterscheidet. Nur durch das Material und dessen Volumen heben sie sich vom Umfeld ab, wobei sich die Frage nach dem Verhältnis von Objekt und Motiv stellt. Rüdiger Safranzki schildet in seinem Buch ‚Romantik. Eine deutsche Affäre‘ (2007) auf Seite 73 wie der Philosoph Johann Gottlieb Fichte (1792–1814) ‚die Studenten im Kolleg (in Jena) aufforderte, die gegenüberliegende Wand anzublicken. „Meine Herren, denken Sie die Wand,“ sagte Fichte, „und dann denken Sie sich selbst als das davon Unterschiedene“. Spöttisch bedauerte man die strebsamen Studenten, die in hellen Scharen in die Vorlesungen Fichtes drängten, um dort ratlos auf die Wand zu starren, wo ihnen nichts auffiel, weil ihnen das eigene Ich nicht einfiel‘.
Das Fehlen eines Motivs oder der gegenstandslose Bildinhalt wie im ‚Schwarzen Quadrat‘ von Kasimir Malewitsch wirken konfrontativ, ermöglicht die Leerstelle oder einfarbige Fläche kein Schwelgen in malerischer Opulenz und mimetischer Virtuosität. Die Weigerung die Welt oder den Menschen zu spiegeln, stellen die Objekthaftigkeit und Unabhängigkeit des Kunstwerks radikal in den Mittelpunkt, die zum Gegenüber des Betrachtenden wird.
Die Wahrnehmung als Grundlage von Welt- und Selbsterfahrung wird durch die reduzierte Formensprache von Bert Haffke immer wieder herausgefordert. Das Werk diameter of life, 2024, besteht aus einem Glasreif und einem Streifen mit schwarz bemalter Pappe, der senkrecht den Reif überspannt. Der Durchmesser einer Kreisform lässt sich bestimmen, doch wie lässt sich der Durchmesser des Lebens feststellen?
Während der Kreis Geschlossenheit und Bewegung verkörpert, besteht das Kreuz aus einer Längs- und Querachse, die in vier Richtungen weisen. Betrachtet man das mit cross, 2024, betitelte Werk aus Acrylglas, findet man eher ein Quadrat vor, dessen minimalistische Kreuzform sich nur durch die nach innen gerichteten Ecken ergibt. Eine zweite Arbeit in ähnlicher Kreuzform trägt keinen Titel, erhält mit dem Zusatz ‚Faltarbeit‘ aber einen Hinweis auf das Material, einem Vliespapier und die Technik. Senkrechte und waagrechte Knickfalten unterteilen das Blatt in gleich große Quadrate von 2 x 2 cm, so dass eine Rasterung erscheint, die sich wie ein Relief von der weißen Wand abhebt. Der alltägliche Vorgang des Faltens ermöglicht eine haptische wie optische Erfahrung von Schatten und Licht, von Erhabenheit und Vertiefung. Diese Parameter der Skulptur treten hier in so zarter und unaufdringlicher Form auf, dass sie in die Nähe des Banalen rücken, das jedoch in der ursprünglichen Wortbedeutung das Gemeinnützige bezeichnete. Die Faltung wie Entfaltung als Möglichkeit der Formreduzierung wie Ausbreitung kommen hier in großer Schlichtheit und doch voller Wirkung zum Vorschein.
Beim Werk the 4 corners of love, 2024, setzt Bert Haffke mit dem auf Acrylglas aufgetragenem Rot den einzigen farblichen Akzent. Das Abrunden der Ecken bei dem Quadrat vermeidet nicht nur das konfrontative Aufeinanderstoßen zweier gerader Linien zu einem Winkel, es bringt auch Dynamik in die Form. Mit einem leichten Schwung gelingt es – gerade noch – der Form etwas Spielerisches zu verleihen, ohne ins Rotieren zu geraten. Keine emotionalen Strudel sind hier zu erwarten, sondern eine stabile Spannung. Diese defensive wie aufmerksame Haltung wird auch durch die Farbe nicht beeinträchtigt, entspricht der Rotton doch eher dunkeltoniger Wärme als loderndem Feuer.

Die Werke von Ralph Kull und Bert Haffke bieten in der Gemengelage historischer wie zeitgenössischer Kunst Anlässe zum Innehalten. Altbewährte Mischungen aus Motiv, Material und Technik erscheinen modifiziert und teilweise so reduziert, dass einzelne Komponenten hervortreten, neu wahrgenommen und eingeordnet werden können. Eine Melange, die Zuspitzungen nicht verbirgt und die Sinne betäubt, sondern das Bei-sich-sein im Angesicht des gegenüberstehenden Werks ermöglicht.

Julienne Franke,
Jan. 2025